Dresden,
15/11/2008
Nach einigen kurzfirstigen Absagen, die die ursprüngliche Besetzung des Podiums durcheinanderwirbelten, konnte Moderatorin Susan Polgar trotzdem vier sehr interessante Gesprächspartner begrüßen.
Werner Stubenvoll zeichnet für Auslosung und Umsetzung des Regelwerks in Tabellen verantwortlich, er ist einer von vier Mitgliedern des "Technical Administration Panel", kurz TAP genannt. Er beschrieb die Klassifizierungsregeln, die nach Gleichstand bei den Mannschaftspunkten angewandt wird: Zunächst wird eine spezielle Sonneborn-Berger Wertung angewandt, bei denen die Wertung durch Multiplikation der Mannschaftspunkte der eigenen Gegner mit den erreichten Brettpunkten gegen diese Gegner ermittelt wird. Danach wird die Buchholzwertung dieser erweiterten Sonneborn-Berger Wertung herangezogen und zuguterletzt die Summe der Brettpunkte. Auf die Frage, warum einige Mannschaften trotz Registrierung nicht angetreten sind verwies Herr Stubenvoll auf Visa-Probleme in den meisten Fällen. Das ugandische Team spielt derzeit nur mit zwei Spielern, was regelkonform ist. Die Suche nach weiteren Spielern führte einen der beiden anwesenden Spieler heute in das Konsulat Ugandas, wo er so lange ausfgehalten wurde, dass er zu spät zur Runde erschien. Da zu Rundenbeginn mindestens 50% der Spieler einer Mannschaft anwesend sein müssen, ging das Match gegen Lettland 0:4 verloren. Zur Statistik berichtete Herr Stubenvoll, dass die Zahl der teilnehmenden Nationen bei den Männern ungefähr auf dem Niveau der Schacholympiade von Turin 2006 liegt, die der Frauen aber deutlich höher ist. Damit hat sich ein neuer Rekord in der Gesamtzahl der teilnehmenden Mannschaften ergeben.
Der "Überraschungsgast" Großmeister Alejandro Ramirez, der für die aufgrund ihrer Niederlage gegen eine mongolische Spielerin bitter enttäuschte Kateryna Lahno einsprang, ist ein helles Köpfchen: Er stammt aus Costa Rica, studiert aber in Dallas im Abschlussjahr Informatik und möchte auf jeden Fall Programmierer für Computerspiele werden. Er errang mit 15 Jahren den Großmeistertitel, obwohl er außer moralischer Unterstützung durch seine Eltern kaum auf schachliche Hilfe bauen konnte und ist jetzt erst 20 - Respekt! Bei seiner schachlichen Entwicklung hat ihm sicher geholfen, dass er sich als Mitglied der "ICC Community" sieht, also über das Internet die Möglichkeit hat, dort an Schachinformationen zu gelangen und gegen starke Gegner im Internet zu spielen. Als Susan Polgar ihn auf sein Damenopfer 25...Dxc4 in seiner heutigen Partie gegen einen Nepalesen anspricht meint er: "Da hatte
ich schon eine sehr gute Position. Ehrlich gesagt habe ich nicht alles bis zum Schluss durchgerechnet, aber ich war mir sicher, dass ich mindestens zwei Figuren für die Dame und eine Menge Schachs erhalten würde."
Ein alter Bekannter von Susan Polgar ist Stefan Kindermann, der in diesem Jahr zum ersten Mal für sein Heimatland Österreich an den Start ging, nachdem er es in den Achtziger und Neunziger Jahren auf sechs Olympiaden für Deutschland brachte. "Es fühlt sich gut an. Für Deutschland reicht mein Rating ohnehin nicht mehr aus" antwortete er auf die Fragen nach dem Grund seines Schachverbandswechsels. Das einwöchige Training mit Coach Zoltan Ribli, das sich speziell auf Eröffnungen konzentrierte, scheint Früchte zu tragen: Kindermann erreichte bisher 2,5 Punkte aus drei Partien. Allerdings verfolgt er seine aktive Spielerkarriere nur noch nebenbei, denn er betreibt seit ungefähr drei Jahren die Münchener Schachakademie. "Wer und was steckt dahinter?" fragte Susan Polgar. "Das Konzept besteht darin, dass wir mit unserem Team - und einige Teammitglieder sind hier sogar dabei, namentlich Dijana Dengler für Bosnien und Romand Krulich für Monaco - versuchen, die positiven Effekte des Schachspiels in den Vordergrund zu stellen und Kinder und Erwachsene dafür zu begeistern. Wir hatten bisher über 1000 Kinder und Jugendliche, die Kurse entweder in unseren Räumlichkeiten besucht haben oder denen wir an Schulen mit ausgebildeten Schachtrainern Unterricht erteilt haben. Wir haben auch eine Stiftung gegründet, die es Kindern und Behinderten aus Familien, die sich Schachunterricht nicht leisten können ermöglicht, an solchen Kursen teilzunehmen". "Ich weiß auch, dass du an einem Projekt arbeitest, welches versucht, schachliche Denkweisen für das tägliche und das Berufsleben zu nutzen, wie sieht das aus?" fragte Susan abschließend. "Ja, das stimmt! Wir sind der festen Überzeugung, dass Schach Kindern bei ihrer perönlichen Entwicklung wie Konzentrationsfähigkeit und strategischem Denken hilft. Tatsächlich bin ich mit dem Präsidenten des Deutschen Schachbunds, Professor Robert Freiherr von Weizsäcker daran, das Konzept in Form eines Business Trainings und ein Buch zu entwickeln, das sich "Königsplan" nennt. Grob gesagt geht es um einen siebenstufigen Plan, mit dem sich jedes Problem strukturiert angehen lässt und am Ende ein Lösungsvorschlag steht".
Der vierte Mann auf dem Podium war der russisch-französische Großmeister Vladislav Tkachiev. Er tritt zum ersten Mal für Frankreich an, nachdem er in Manila für Kasachstan an den Start ging. Auch er ist ein guter Bekannter von Susan Polgar und sie fragte ihn nach seinen Bemühungen, das Schach zu popularisien. "Ich denke, dass wir vieles falsch machen bei der Art und Weise, wie wir Schach lehren. Das ist meistens traditionell, verstaubt und bei den Kids von heute unpopulär. Wir müssen schließlich mit der Computerspieleindustrie konkurrieren, da muss man neue Wege gehen. Ich habe mit einigen anderen zusammen 1995 ein 2-Minuten Blitzturnier in Kasachstan organisiert, das auf zwei Fernsehkanälen gleichzeitig übertragen wurde. Fünf-Minuten Blitzpartien sind schon zu lang. Es war ein Riesenerfolg, aber leider konnten wir ihn aus verschiedenen Gründen nicht wiederholen." - "Ich weiß, dass du noch andere Ideen hast, es gab mal die Idee eines Dresscodes für Schachspieler" bohrte Susan Polgar nach."Ja, ich denke wir brauchen einfach Stars im Schach. Susan, du weisst es besser als ich. Denk an Hollywood und wieviele dort Schach spielen können. Von Humphrey Bogart gibt es sogar Partien. Was Alexandra Kosteniuk versucht hat, dass sie nämlich parallel eine Vermarktung als Model betrieben hat, fand ich gut. Aber sie braucht da Unterstützung und Nachahmer. Wir brauchen eine Sharapova des Schachs. Momentan gibt es keine richtigen Persönlichkeiten, für die sich die Kids begeistern können. Wenn man auf die Straße tritt, meinen immer noch 99 Prozent der Leute, dass der Schachweltmeister Karpow oder Kasparow heisst!" -"Ein paar meinen auch Fischer!" warf Susan ein. "Ach ja, ich vergaß die Amerikaner". "Wo lebst du jetzt?" - "Tatsächlich lebe ich hauptsätzlich in Moskau, nur im Dezember komme ich mal wieder nach Frankreich.
Ich arbeite sehr viel und wenn das klappt, was wir uns vorstellen, kann das die Schachwelt ganz schön durcheinanderwirbeln". An dieser Stelle warf Großmeister Ian Rogers aus Australien ein, das Tkachiev schon vor Jahren einen Beauty-Contest unter Schachspielerinnen mitorganisiert hatte, dessen ausgelobter Hauptpreis nie ausgezahlt wurde. "Warum sollen die Leute jetzt glauben, dass das neue Projekt seriös ist?" Tkachiev bekannte, dass ihm die Sache von damals leid tue, auf jeden Fall habe er daraus für das neue Projekt gelernt, dass die Finanzierung wasserdicht sein müsse, bevor er damit an die Öffentlichkeit gehe. Stefan Kindermann erlaubte sich zuletzt noch eine kleine Gegenposition einzunehmen: "Wenn man Schach richtig lehrt und die positiven Effekte auf die persönliche Entwicklung eines jeden herausstellt, ob er nun Kind, Erwachsener oder im Rentenalter sei, kann man durchaus die Masse dafür begeistern. Susan macht schließlich ähnliche Erfahrungen in Texas mit ihrem Institute for Chess Excellence(SPICE)."
Text: Peter Dengler
Fotos: Georgios Souleidis
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