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Die Finanzkrise ist in der Schachwelt angekommen

Dresden, 16/11/2008

Am Morgen des dritten Spieltags traf ich die beiden Kapitäne der isländischen Mannschaften Sigurbjon Bjornsson (Männer) und Omar Salama (Damen) in der Lobby des Westin Bellevue Hotels, als sie gerade ihr Mannschaftsaufstellung abgaben. Ich beobachtete Sigurbjon, wie er darauf bedacht war, ja keinem der umstehenden Mannschaftsführer den Zettel zu Gesicht kommen zu lassen, bevor er ihm einem Schiedsrichter übergab. Beide Kapitäne erklärten sich für ein Interview bereit, zu dem wir uns in einer Ecke des Hotels zurückzogen.



Peter Dengler: Sigurbjon, ich muss dich zunächst fragen: Was machen Johann Hjartarson und Mageir Petursson jetzt? Johann kenne ich aus seiner Bundesligazeit bei Bayern München und er gab auch mal eine Simultanvorstellung in unserem Klub.

Sigurbjon Bjornsson: Nun, Hjartarson hat sogar bei der Olympiade in Turin mitgespielt, aber er spielt wirklich selten. Er arbeitet als Anwalt für Dicode, eine Gentechnikfirma. Natürlich hätten wir ihn gerne in unserer Aufstellung gehabt, denn er ist Elomäßig immer noch der stärkste isländische Spieler. Mageir Petursson hat seine eigene Bank gegründet (MP Bank), die momentan noch eine reine Investmentbank ist. Ich denke, dass er in den vergangenen Monaten angesichts der Finanzkrise keine leichte Zeit hatte. Er ist hauptsächlich in den baltischen Staaten aktiv. Seine Bank bemüht sich auch um eine Lizenz als normale Geschäftsbank, die sie nach meinen Informationen im Januar erhalten wird.

PD: Die Finanzkrise – Island hat sich sicher gewünscht, dass es nicht unbedingt dadurch momentan in aller Munde ist.

SB: Ja, aber ich würde dafür hauptsächlich andere Staaten verantwortlich machen. Ich denke da besonders an ein Land, das einige Regeln für den isländischen Staat angewandt hat, die normalerweise für die Bekämpfung des Terrorismus gedacht waren. Letztlich haben diese Maßnahmen dazu geführt, dass die drei größten Banken des Landes inklusive Kaupthing und Glitnir Bank kollabiert sind. Die Finanzkrise spüren wir auch in unseren eigenen Geldbeuteln: Vor drei Monaten mussten wir für einen Euro 90 Kronen auf den Tisch legen, heute sind wir bei 170.

PD: Das hat vermutlich auch die Sponsoensuche beeinträchtigt? Hat euch Mageir geholfen?

SB: Nicht dieses Mal, er hat uns in Mallorca 2004 unterstützt. Ich weiß nicht, ob ich es überhaupt erzählen sollte, aber Kaupthing hat uns dieses Mal Geld gegeben (grinst verlegen).

PD: Wie sieht es mit euren Mannschaftsergebnissen bisher aus und was sind eure Ambitionen?

SB: Es gibt immer eine interne Konkurrenz unter den nordischen Mannschaften. Das ist kein vom Verband ausgegebenes Ziel, aber die Spieler haben es sich selbst gesetzt. Natürlich wird das sehr schwer, wenn man sich nur einmal Norwegen mit Magnus Carlsen am Spitzenbrett anschaut.

PD: Omar, die Damenmannschaft Islands hat nie so namhafte Mitglieder gehabt wie zum Beispiel Olofsson, Hjartarson, oder Petursson. Was ist mit euren Zielen und wie populär ist Schach bei den Isländerinnen?

Omar Salama: Ich meine, dass es nicht viel anders ist als in anderen Ländern. Bei Jugendturnieren spielen fast genauso viele Mädchen wie Jungs mit. Momentan ist der isländische Jugendmeister unter 15 Jahren sogar ein Mädchen!

PD: Wie liefen eure Kämpfe in den ersten beiden Runden?

SB: Die Männer haben gegen die USA 1,5:2,5 verloren und Jemen mit 3,5:0,5 geschlagen. Nun haben wir Angola, was hoffentlich zwei weitere Mannschaftspunkte bedeutet.

PD: Omar, wie sieht die Aufstellung der Damenmannschaft aus und wie seid ihr platziert?

OS: Wir haben gegen Japan gewonnen und gegen Italien verloren. Gegen Slowenien wird es sicher sehr schwierig. Das erste Brett ist damengroßmeisterin Lenka Ptacnikova. Sie hat fünf Olympiaden für Tschechien bestritten und spielt jetzt die dritte für Island – und sie ist meine Frau. Sie ist auch die amtierende nordische Meisterin und das zum zweiten Mal hintereinander. (Später sah ich Omar mit seinem einjährigen Sohn Adam, der wie ein echter Isländer aussieht: rote Haare und Gesichtsausdruck wie ein Wikinger –obwohl seine Eltern aus Ägypten und Tschechien stammen). Hallgerdur Thorsteinsdottir ist 16 und die jüngste Spielerin im Team. Aber sie ist auch die amtierende isländische Meisterin. Für Elsa Kristindottir ist es am Wichtigsten hier Erfahrung zu sammeln. Natürlich steht für uns auch das Ziel der inmoffiziellen Meisterschaft der nordischen Staaten im Raum. Schweden hat einen viel höheren Eloschnitt, aber sie haben schon 1:3 gegen Dänemark verloren. Es wird schwierig, an den beiden vorbeizukommen.

PD: Wie sieht es mit Schach in isländischen Schulen aus? Ist es reguläres Unterrichtsfach?

OS: Nur in manchen Schulen. Es gibt eine Schachakademie in Reykjavik und sie geben in Schulen Unterricht.

PD: Müssen die Eltern dafür bezahlen?

OS: Nein, das zahlt die Stadt Reykjavik und die “Landesbank”. Leider existieren die wichtigen geschäftsbanken nicht mehr, damt auch sie sich hier beteiligen könnten…

PD: Wenn man es mit anderen Staaten vergleicht scheint Schach aber doch sehr populär in Island zu sein?

SB: Ja, fast jeder kann in Island Schach spielen. Schach und Handball kann man als nationale Sportarten bezeichnen. Aber Fußball und Golf sind wohl attraktiver. Eine Menge Schachspieler möen auch Fußball und Golf… und Poker! Ich spiele auch gerne Fußball, normalerweise einmal in der Woche.

PD: Habt ihr auch einen Einbruch bei den Besucherzahlen in Schachclubs bemrkt, als das Internet aufkam?

OS: Aber ja,zum Beispiel in meinem Heimatland Ägypten gibt es jede Menge Schachcafes. Als das Internet kam, sind die Leute nicht mehr gekommen. Nach 20 Jahren sitzen sie jetzt zu Hause am Computer und zocken auf ICC!

PD: Sigurbjon and Omar, vielen Dank und viel Erfolg für eure Teams!

Auf dem Weg zum Spiellokal unterhielt ich mich noch mit Hedinn Steingrimsson, der mit einer Deutschen verheiratet ist und in Bonn lebt. Seine deutsche Ausrucksweise ist perfekt und auch er berichtete mir von den Folgen der Finanzkrise: „Es ist schade, dass Island dadurch so in die Negativschlagzeilen geraten ist. Eigentlich hätte man in Europa gar nicht erlauben sollen, dass die isländischen Banken derartig hohe Zinssätze anbieten, wenn die Einlagen gar nicht abgesichert sind. Letztlich haben die Bankvorstände hier Gesetzeslücken ausgenutzt. Wenn es keine Krise gegeben hätte, dann hätten sie auch den Gewinn in die eigene Tasche gesteckt. Ich selbst habe einiges an Geld verloren und in den isländischen Regeln gezüglich der Einlagensicherung steht, dass der Staat in den Fonds nachschießen kann, aber nicht muss. Letztlich reicht das Volumen des Fonds nicht aus, um die Einlagen abzudecken, weil im Ausland horrende Summen eingesammelt wurden. Sehr schade, denn vor allem in Deutschland treffe ich wahnsinnig viele Leute, die schon einmal in Island waren und davon schwärmen. Sogar hier bei der Schacholympiade, als ich meinen Mantel an der Garderobe abgegeben habe! Übrigens kann man momentan sehr billige Islandreisen buchen!“

Text und Fotos: Peter Dengler

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